Geschichte

Die faszinierende Geschichte der Reformation


Christopher Kramp
Bibelarbeiter, Evangelist, Leiter von Joel Media Ministry (Stuttgart)

Das Jahr 1517 hatte gewaltige Veränderungen an der noch recht jungen Universität von Wittenberg, der kleinen Hauptstadt des mächtigen Kursachsens, gebracht. Studenten schrieben sich in Scharen ein, um statt der Sentenzen des Lombardus endlich Paulus und Augustinus zu hören. Überdies waren fast alle Theologieprofessoren auf die Demutstheologie des Augustinereremiten Dr. Martin Luther eingeschwenkt.

Doch dies wäre nur eine interessante Randnotiz der Kirchengeschichte geblieben, wenn nicht der hochverschuldete Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten auf Vorschlag des Papstes dessen neuesten Ablasshandel organisiert hätte. Die Geldgier der Kurie wurde zum Funken, der die Reformation auslöste, die allerdings vermutlich ein kleiner Kirchenskandal geblieben wäre, wenn nicht Luther durch scharfsinnige Feinde zu immer neuen Entdeckungen „gezwungen“ worden wäre und sich so das Feuer seiner Lehre erst zum Flächenbrand ausgeweitet hätte.

Wenn wir die Reformation „vollenden“ wollen, müssen wir ihre Anfänge kennen.

500 Jahre später gedenken wir dieses „Funkens“ am 31. Oktober, beobachten, wie die Protestanten aus freien Stücken ihren Protest aufgeben, und fragen uns, was denn die Reformation für uns als Adventgemeinde bedeutet. Manche betonen die Identifikation des Antichristen, ohne zu ahnen, dass Luther sich dazu oft gar nicht der Prophetie bediente. Andere sehen im Evangelium Luthers ein Gegenentwurf zur „Gesetzlichkeit“ und „Endzeitatmosphäre“ klassischer adventistischer Autoren.

Am erstaunlichsten aber ist die weitverbreitete Unkenntnis über den eigentlichen Hergang und die Fragestellungen der Reformation. Und das hat Konsequenzen. Denn wie soll die Reformation „weitergehen“ und „vollendet“ werden, wenn die Anfänge nur nebulös bekannt sind? Wer die Reformation beerben will, muss ihre Schätze kennen.

Dieser Artikel will dafür eine Grundlage schaffen und gleichzeitig Appetit machen, sich direkt und intensiv, kritisch und belehrbar mit dem Geschehen vor und nach 1517 auseinanderzusetzen. Denn „wir haben nichts für die Zukunft zu befürchten, es sei denn …“

Die Welt, in die Luther hineingeboren wurde

Ob Luther am 10. November 1482 oder 1483 geboren wurde, ist umstritten. Für die häufige Angabe 1483 spricht eine Mitteilung Melanchthons, für 1482 dagegen sowohl chronologische Überlegungen zu seiner Schulzeit als auch die Tatsache, dass Ellen White ihn für das Frühjahr 1501 (seinen Studienbeginn) als 18-jährig bezeichnet (GK 121). Die Welt, in die er hineingeboren wurde, war ganz anders als unsere und ihr doch so ähnlich. Im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, das sich von den Küsten im Norden bis nach Mittelitalien erstreckte, herrschten zahlreiche weltliche und kirchliche Fürsten. Auch der große Kirchenstaat um Rom gehörte dazu. Sieben dieser Fürsten hatten die Kurwürde, d. h., sie wählten den jeweils nächsten römisch-deutschen König.

Weltpolitisch teilten Portugal und Spanien den Erdball unter sich auf – eine Entwicklung, die nach der Neuentdeckung Amerikas 1492 enorme Bedeutung hatte. Europa wurde zudem von den aufstrebenden Osmanen bedroht, die nach dem Fall von Konstantinopel 1453 das christliche Abendland ins Visier nahmen, das vor „dem Türken“ regelrecht zitterte.

In Italien war mit der Entdeckung der Antike der Humanismus geboren worden, der sich für einen Rückbezug zu den alten Originalquellen einsetzte, aber gleichzeitig mit den antiken Poeten und Philosophen auch deren heidnische Lebenseinstellung wiederbelebte.

Im westlichen Christentum hatte das Papsttum durch Aufhebung des Konziliarismus (die These, dass ein allgemeines Konzil über dem Papst stehe) wieder zu alter Macht zurückgefunden. Die heilige Anna (die angebliche Mutter von Maria) war die „neueste Mode“ der Frömmigkeit, und noch immer galten die verhassten hussitischen Böhmen als Pest der Christenheit.

Kindheit und Jurastudium

Martin wurde durch gläubige, ernste, manchmal überstrenge Eltern erzogen. Sein Vater war Bergmann im Südharz und ein Feind der Bettelmönche. Die Grundschule, in der Deutschsprechen bei Strafe verboten war, hinterließ bei Luther vor allem wegen der exzessiven Gewaltanwendung negative Eindrücke. Nichtsdestotrotz zeigte sich, dass er ein guter Schüler mit lebhafter Vorstellungskraft und starkem Willen war.

Die Armut seiner Eltern zwang ihn manchmal gar, um Brot zu singen; jedoch brachten sie es mit der Zeit zu einem stattlichen Vermögen, sodass er 1501 bei Studienbeginn in Erfurt als nicht bedürftig eingestuft wurde. Luther hatte bereits bei seinen Schulaufenthalten in Magdeburg und Eisenach erste Kontakte mit den religiösen Einrichtungen seiner Zeit gehabt. Er kannte Mönche und wurde auch auf die populäre Heiligenverehrung aufmerksam. Sein geistliches Fundament dürfte größtenteils in den elterlichen Lektionen und der Kenntnis einiger in der Messe gehörter neutestamentlicher Texte bestanden haben.

Aristoteles war das Maß aller Dinge.

Von den drei zur Verfügung stehenden Studiengängen Theologie, Medizin und Jura hatte der Vater letzteren für Martin Luther vorgesehen. Doch bevor man damit beginnen konnte, galt es, ein mehrjähriges, obligatorisches Studium der Freien Künste zu absolvieren. Luther lernte hier Naturwissenschaften und die Philosophie kennen, die im Spätmittelalter alle anderen Wissenszweige beherrschte. Aristoteles war mit seiner Ethik und Logik das Maß aller Dinge, vermittelt durch zeitgenössische Kommentare und Lehrbücher. Es gab verschiedene Denkschulen, darunter die Thomisten, die sich auf Thomas von Aquin beriefen. Der hatte die gesamte katholische Lehre auf ein aristotelisches Fundament gestellt. Auch Scotus und Ockham dienten als Vorbilder, wobei Luther es mit dem Letztgenannten hielt. Die Differenzen wurden in sogenannten Disputationen anhand vorher verfasster Thesen nach festgelegten Regeln ausdiskutiert. Die Disputation war das Prunkstück der akademischen Welt. Keine Feierlichkeit an der Universität kam ohne diese intellektuellen „Schaukämpfe“ aus.

Luther absolvierte sein Studium zügig und zielstrebig, unterrichtete, wie damals üblich, bald selbst und begann am 19. Mai 1505 planmäßig mit dem Studium des Rechts. In dieser Zeit kam ihm zum ersten Mal in seinem Leben in der Universitätsbibliothek eine Bibel in die Hände. Er war sich der Existenz dieses Buches gar nicht bewusst gewesen und las voller Begeisterung die Samuel-Geschichte.

Das Wort Gottes hatte ihn in einer ernsten Krise angetroffen. Biografische Untersuchungen legen nahe, dass Luther am Studium des Rechts verzweifelte. Der junge Student hatte auf sichere Gewissheiten gehofft und musste alsbald feststellen, dass es selbst beim Gesetz immer Ausnahmen und Interpretationsmöglichkeiten gab. Auf der Suche nach einem Halt im Leben konnte ihm die Kasuistik [Einzelfall-Betrachtung] des kanonischen Rechtes nichts bieten.

Ein Mönch in Gewissensängsten

Schon bald veränderte sich sein Leben drastisch. Am 2. Juli 1505 geriet er auf dem Heimweg bei Stotternheim in ein schweres Gewitter. In Todesangst wandte er sich an seine Lieblingsheilige, die hl. Anna, und schwor, Mönch zu werden.

Schon wenige Tage später bedauerte er sein Gelübde.

Schon wenige Tage später bedauerte er dieses Gelübde und fühlte sich mit Gewalt aus der Welt gezogen, doch weder der entsetzte Vater noch seine Mitstudenten konnten den gewissenhaften Luther davon abbringen, sein gemachtes Versprechen zu brechen. Was immer er auch tat, Luther war ernsthaft und konsequent. Bei den Augustinereremiten, einem Orden, der nach der Regel des Augustinus geschaffen worden war, gab es eine „konservative“ Abspaltung, die diese Mönchsregel wirklich ernst nehmen wollte, weswegen sie auch „Observanten“ genannt wurden. Man könnte auch von „Reformern“ sprechen, die die Missbräuche und Schwelgereien der „normalen“ Mönche nicht guthießen. Solch einem Reformkloster schloss sich Luther noch im selben Jahr an.

Als Novize musste man sich zunächst ein Jahr allein mit der Bibel beschäftigen. Für die meisten angehenden Mönche war dies nicht viel mehr als eine Übung. Doch Luther fand in der Bibel etwas, was direkt zu seinem Herzen sprach. Sein außergewöhnliches Interesse für die Schrift fiel auch Johann Staupitz auf, dem Generalvikar aller sächsischen observanten Augustinerklöster, der ihn deshalb maßgeblich förderte. Staupitz erlaubte Luther auch, sich auf das Priesteramt vorzubereiten. Dazu musste die Auslegung des Messkanons des Tübinger Theologen Biel studiert werden. Luther war davon tief beeindruckt. Der nach katholischer Vorstellung in der Hostie leibhaftig gegenwärtige Jesus war der Richter der Welt. Wer als Priester die Eucharistie feierte, kam somit in direkten, unvermittelten Kontakt mit Ihm, dem keine Sünde entging.

Nicht nur für Luther war dieser Gedanke existenziell bedrohlich. Nur wer ohne Sünde war, konnte dem Richter begegnen! Bei seiner ersten Messe wäre er am liebsten davongelaufen – ein damals verbreitetes Phänomen. Die quälende Frage war: Habe ich alle meine Sünden bekannt? Sind meine guten Werke wirklich gut genug? Luther beichtete oft bis zum Exzess und rannte selbst nach erteilter Absolution zur Beichte zurück, weil ihm auf dem Rückweg Zweifel gekommen waren, ob er wirklich alles bekannt hatte. Alles hing von der eigenen Leistung vor Gott ab.

Auf dem Weg zum Theologen

Trotz seiner inneren Verzweiflung war Luthers Aufstieg in der Klosterhierarchie rasant. Schon bald (1507) begann er, da seine Begabung erkannt wurde, mit einem Theologiestudium. Dazu las er die scholastischen Werke wie die Sentenzen des Lombardus, das Standardwerk der damaligen Zeit. Die Scholastik war der mittelalterliche Versuch, das christliche Gedankengut mit den Begriffen, Konzepten und Techniken der aristotelischen Philosophie zu beweisen. Dass Luther zeitgleich auch selbst Philosophie unterrichtete, war nur natürlich.

An dieser Stelle muss eine selten benannte Grundwahrheit der Reformationsgeschichte herausgestellt werden. Die Kirche war nicht reformbedürftig, weil es in der Hierarchie Skandale und Missbräuche gab, sondern weil das gesamte Lehrgebäude von heidnischer Philosophie durchdrungen war. Damals galt es nicht als paradox, wenn man formulierte, ohne Aristoteles könne man nicht zum Theologen werden. Es ist mehr als interessant, dass die moderne Theologie unserer Zeit erneut versucht, christliche Inhalte durch philosophische „Brillen“ zu lesen.

Luther unterrichtete unter anderem die „Nikomachische Ethik“ des Aristoteles. Die Grundannahme des antiken Lehrers von Alexander dem Großen war, dass es Gutes im Menschen gebe und dass der gerecht sei, der gerecht handle. Die Injektion dieses Gedankens in die christliche Lehre musste zwangsläufig zu dem frommen Leistungskatalog der Kirche führen. Der um Gewissheit ringende Luther hatte alles gegeben, um diesen Katalog zu erfüllen, aber er scheiterte so gründlich, dass ihm bald klar wurde, dass dies eine Sackgasse war.

Aristoteles brachte die christliche Lehre noch auf einem anderen Gebiet in Schieflage: Wenn der Mensch an sich zumindest teilweise gut war, dann war Sünde etwas Überschaubares, das man durch überlegte Handlung und Strategie entfernen konnte. Dann musste davon ausgegangen werden, dass nach erfolgter Genugtuung der Mensch sofort sündlos war. Aber genau das erlebte Luther nicht. Die Tatsache, dass Sünde in seinem Leben immer wieder vorkam, selbst nachdem er sein Bestes gegeben hatte, ließ ihn ständig verzweifeln. An dieser Stelle berührt die Geschichte der Reformation auf sehr sensible Weise unsere eigene, persönliche Geschichte. Und wir wissen im tiefsten Inneren, dass 500 Jahre später die Kämpfe im Grunde genommen dieselben geblieben sind.

Das akademische Studium, die eigene Frömmigkeit und auch die kurzzeitige Beschäftigung mit der Mystik brachten Luther keinen Trost. Hoffnung fand er stattdessen im Lesen der Bibel. Es war, als ob durch dieses Buch seine tiefsten Bedürfnisse gestillt würden. Noch ahnte er freilich nicht, dass er im Grunde schon die Lösung seiner Probleme „vor Augen“ hatte.

Reise nach Rom

Interne Ordenspolitik verhalf Luther dann zur längsten Reise seines Lebens. Man wollte beim Papst gegen das Vorgehen ausgerechnet von Johann Staupitz appellieren. Zusammen mit einem Ordensbruder machte er sich auf die Reise, die man natürlich auch als Gelegenheit zur Wallfahrt nutzte. Ehrfürchtig versuchte Luther, alle geistlichen Segnungen und Ablässe zu erhalten, doch Rom war so offensichtlich verdorben, dass selbst der junge, idealistische Mönch es bemerken musste. Die Eindrücke in dieser Stadt, die größtenteils ziemlich heruntergekommen war und nur noch vom verblichenen Glanz der Antike lebte, waren wie ein Same, der nach Jahren der Verborgenheit umso spektakulärer aufgehen sollte.

In der eigentlichen Sache war Luthers Mission von 1511 ein völliger Fehlschlag: Der Einspruch der Klöster wurde konsequent abgelehnt. In der Folge bemühte sich Luther um Ausgleich und Kompromiss und stand dann auch wieder auf der Seite von Staupitz. Dadurch geriet er allerdings im Erfurter Kloster in Bedrängnis: Die Mehrheit der Mönche war gegen ihn. In dieser Situation setzte sich der Bibelprofessor Staupitz erneut für Luther ein und berief ihn nach Wittenberg, um dort als sein Nachfolger zu wirken. Die Universität der kleinen Stadt war erst einige Jahre jung. Friedrich der Weise war an höchsten akademischen Standards und vor allem herausragendem Personal interessiert. Luther war in vielfacher Hinsicht die wichtigste Wahl, die er je traf.

Für die fällige Gebühr kam der Kurfürst höchstpersönlich auf.

Staupitz war es auch, der Luther gegen dessen Willen zur Doktorpromotion drängte. Für die fällige Gebühr, die auch der arme Mönch zu entrichten hatte, kam der Kurfürst höchstpersönlich auf, weil Staupitz sich für den vielversprechenden Theologen eingesetzt hatte. Seine Kollegen waren alles mittelmäßige Scholastiker. Andreas Bodenstein aus Karlstadt („Karlstadt“ wurde er auch später genannt) hatte auch Interesse am neuen Humanismus.

Professor in Wittenberg

Luther begann seine Lehrtätigkeit mit einer Vorlesung über die Psalmen. Immer wieder meldete er hier bereits erste Zweifel an den Techniken der Scholastik an, insbesondere an den Disputationen. Zu jener Zeit wurde auch Griechisch in Wittenberg als Unterrichtsfach eingeführt, ein ziemlich „moderner“ Schritt – es war noch nicht lange her, dass selbst die renommierte Pariser Universität vom Studium der Grundsprachen abgeraten hatte, weil dies den christlichen Glauben gefährde. Auch politisch zogen bereits die ersten Wolken auf, die später zum Reformationsgewitter führen sollten. 1513 wurde der junge, humanistisch und künstlerisch interessierte Albrecht von Brandenburg gegen den Willen von Friedrich dem Weisen Erzbischof von Magdeburg.

Die Verbindung zwischen Luther und dem Kurfürsten ist vor allem deswegen so faszinierend, weil sie sich in all den Jahren de facto nie begegnet sind. Verbindungsmann war der in Spalt bei Nürnberg geborene Humanist Georg Burckhardt (der sich deswegen Spalatin nannte), der Hofgeistliche von Friedrich III. In einer ihrer ersten Kommunikationen befragte Spalatin Luther zu dessen Meinung über den Reuchlin-Prozess (der angesehene Experte des Althebräischen hatte sich gegen die Verbrennung jüdischer Handschriften durch die Dominikaner in Köln ausgesprochen und sich so den Zorn der Inquisition zugezogen). Luther hatte Sympathie mit Reuchlin.

Geldnot und eine Idee

Am 9. Februar 1514 wurde dann der 24-jährige Albrecht von Brandenburg auch noch Erzbischof von Mainz – eine eigentlich unrechtmäßige Ämterhäufung. Das Mainzer Erzbistum war das mächtigste der Christenheit, verbunden mit der Kurwürde und neben Rom das einzige, das bis heute (!) den Titel „Heiliger Stuhl“ tragen darf. Da jede neue Bischofswahl nur gegen Zahlung größerer Geldsummen von Rom bestätigt wurde und aufgrund überraschender Todesfälle dies bereits die dritte Wahl seit 1504 war, hatte das Bistum enorme Schulden angehäuft. Albrecht selbst musste dazu noch wegen der unzulässigen Ämterhäufung und der Unterschreitung des Mindestalters saftige Extragebühren zahlen, von den Schmiergeldern ganz abgesehen.

Die finanzielle Not in Mainz war also groß, doch Rom hatte eine formidable Idee. In der Hauptstadt der Christenheit sollte der neue Petersdom gebaut werden, dessen Finanzierung man über die Gewissen der Gläubigen abzuwickeln gedachte. Albrecht wurde mit der Organisation eines besonderen Ablasshandels beauftragt, dessen Einkünfte jeweils zur Hälfte zwischen Rom und Mainz geteilt werden sollten, ein „Deal“, der durch das Geldhaus Fugger vermittelt wurde, das dem knappen Albrecht die Gelder vorgestreckt hatte.

In den ersten Predigten Luthers deutete sich an, dass er die Erlösung durch eigene Werke kritisch sah, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt noch immer an den guten Kern im Menschen glaubte. Auch die überall zu erwerbenden Ablässe wurden ihm zu billig verkauft; der Sünder müsse auch leiden.

Das neue Ablassgeschäft für Rom und Mainz nahm dann mit der entsprechenden Bulle vom 31. März 1515 seinen formalen Beginn, wenngleich sich der Anfang äußerst schleppend gestaltete. Die damit beauftragten Franziskaner zeigten kein sonderliches Interesse.

Staupitz erklärt Luther das Evangelium

Währenddessen erlebte Luther erneut eine existenzielle Krise. Er rang mit dem Gedanken der Prädestination. Unsicher, ob seine Werke gut genug seien, unschlüssig, ob es noch unbekannte Sünden in seinem Leben gebe, war die Idee, dass Gott ihn vielleicht gar nicht zur Rettung auserwählt hatte, eine Bürde, an der er fast zugrunde ging. Bei einer Fronleichnams-Prozession realisierte er erneut, wie unvorbereitet er war, dem Richter Jesus (nach seiner Vorstellung in der Hostie) zu begegnen.

In der Beichte schüttete er Staupitz sein Herz aus, der ihm nun klarer als je zuvor grundlegende Inhalte des Evangeliums vermittelte: Christus sei nicht nur Richter, sondern auch barmherziger Erlöser, der Vergebung schenken möchte. Luther kannte nur die Meinung, man müsse selbst Buße in sich erzeugen, um als Resultat Gott lieben zu können. Nun eröffnete Staupitz ihm, dass die Liebe zu Gott der Beginn der Buße sei. Weder Staupitz noch Luther ahnten dabei, welche weitreichenden Konsequenzen diese Erkenntnis noch haben würde. Mit dem Wissen über die Liebe Gottes hatte Luther bereits das Mittel in der Hand, mit dem sich die gesamte spätmittelalterliche Werksgerechtigkeit aus den Angeln heben ließ.

Hin zum biblischen Menschenbild

Äußerlich verlief Luthers Karriere weiter fast mustergültig. Auf Betreiben von Staupitz übernahm er nun regionale Leitungsaufgaben als Distriktsvikar über zehn Konvente.

Bei Augustinus fand er ein ganz anderes Menschenbild vor.

In Wittenberg begann er mit seinen Vorlesungen über den Römerbrief. Zu seiner sich herauskristallisierenden Liebe zu Paulus gesellte sich schon bald eine besondere Neigung zum frühen Kirchenvater Augustinus, dem Namenspatron seines Ordens. Bei Augustinus fand er ein ganz anderes Menschenbild vor, als er es aus der Scholastik kannte. Augustinus wusste wie Paulus von der inneren, tief verwurzelten Verderbtheit des Menschen, von der Hoffnungslosigkeit der eigenen Anstrengungen und von der abgrundtiefen Sündhaftigkeit, der man nicht so ohne Weiteres entkommen kann. Freilich hatte Augustinus das Ganze zu weit getrieben und die Idee der „Erbsünde“, also die Übertragung von Schuld auf die nächste Generation, eingeführt.

Aber die Unterscheidung zwischen der unbiblischen Lehre der Erbsünde und der biblischen Lehre der gefallenen Natur des Menschen mit seinem sündigen Fleisch und der angeborenen Neigung zur Sünde war für Luther nicht klar ersichtlich. Er kämpfte an einer ganz anderen Front: Menschen glaubten, im Prinzip gar nicht so schlecht zu sein. Ausreichend Geld oder fromme Leistungen galten als ausreichend zur Tilgung aller Sünden, ja, man hielt es gar für möglich, besser zu sein als notwendig, wobei diese überschüssigen guten Taten der Heiligen in den sogenannten Schatz der Kirche übergingen, zu dem nur der Papst aufgrund seiner vermeintlichen Schlüsselgewalt Zugang habe.

Die neue Theologie der Demut

Luther entwickelte einen Gedanken, den man später Demutstheologie genannt hat. Der Schwerpunkt bestand darin, dem Menschen seine Sündhaftigkeit vor Augen zu halten. Wer die tiefen Abgründe im eigenen Ich erkannt hatte, sah die Sinnlosigkeit frommer Ersatzleistungen. Eigene Werke zur Besänftigung Gottes wurden somit fragwürdig. Die praktische Konsequenz war logisch, aber auch niederschmetternd: Der Gläubige musste zugeben, wirklich echter Sünder zu sein, und Gottes Gericht über die Sünde als gerecht akzeptieren; dann konnte er nur noch hoffen, dass Gott ihm vielleicht trotzdem vergibt. Luther war vom Irrtum zur halben Wahrheit durchgedrungen. Noch fehlten Freude und Gewissheit, doch der Weg hatte ja gerade erst begonnen.

Anfang 1516 veränderte eine Ausgabe des griechischen Neuen Testamentes die theologische Welt. Erasmus von Rotterdam hatte einige Manuskripte zusammengetragen und mit dieser Veröffentlichung die Basis für den späteren Textus receptus geliefert. Luther begann sofort, dieses neue Mittel zu nutzen.

Hier zeigte sich, dass der Humanismus mit seinem Interesse für Originalquellen der sich anbahnenden Reformation durchaus etwas mitgeben konnte. In Wittenberg nahm das Interesse der Studenten an den Scholastikern spürbar ab; Vorlesungen über die Bibel selbst oder alte Kirchenväter dagegen wurden immer beliebter. Nichtsdestotrotz war Luthers Verhältnis zum Humanismus stets differenziert und distanziert. Er sah, dass das Antike nicht notwendigerweise geistlicher war als das Zeitgenössische. Selbst an Erasmus bemängelte er, dass dieser zu sehr das Menschliche betone und Christus vernachlässige.

Was die Mittel und Techniken betraf, konnte Luthers Demutstheologie in ihrem direkten Rückgriff auf Paulus und Augustinus sich des Humanismus bedienen, doch inhaltlich handelte es sich um zwei völlig verschiedene Welten. Spätestens 1524/25 kam es dann zum Bruch zwischen Luther und Erasmus über der Frage des freien Willens. Luther hat diesen stets verneint, vermutlich weil er jegliche Eigenleistung (die in der Regel mit dem eigenen, guten Willen begründet wurde) zu Recht ausschließen wollte. Dies ist ein Beispiel dafür, wie auch ein Werkzeug Gottes aus guten Motiven einen Irrtum predigen und weniger Recht haben kann als weltliche Gelehrte.

Auch die anderen Professoren schwenkten fast alle auf Luthers Linie ein.

Ende 1516 kam es zum Konflikt an der Universität Wittenberg über Luthers neue Theologie. Seine Kollegen ärgerten sich und hatten keine hohe Meinung von Augustinus, den sie zum Teil noch nie gelesen hatten. Insbesondere Karlstadt wollte Luther widerlegen und kaufte sich zu diesem Zweck eine Augustinus-Ausgabe. Als er diese studierte, brach Anfang 1517 sein Weltbild zusammen. Auch die anderen Professoren schwenkten in diesen Monaten fast alle auf Luthers neue Linie ein. Der rief im Januar gar zu einer Reformation (!) der Predigt auf, da in den meisten Kirchen nur noch Fabeln und Legenden erzählt würden. Man kann sich fragen, was Luther zu den heutigen Predigten im Protestantismus sagen würde …

Johann Tetzel

Just in diesem Moment nahm der Ablasshandel endlich Fahrt auf. Beauftragt wurde damit der Leipziger Dominikaner Johann Tetzel, ein Theologe, der auch schon als Inquisitor in Polen tätig gewesen war. Er predigte in der Kirchenprovinz Magdeburg, durfte aber Kursachsen nicht betreten, weil Friedrich der Weise am eigenen Ablasshandel verdienen wollte.

Die Auswüchse der Tetzelschen Ablasspredigten sind vergleichsweise gut bekannt – im Gegensatz zum theoretischen Unterbau der kirchlichen Ablasslehre. Die war zu jenem Zeitpunkt nicht dogmatisch formuliert, basierte aber auf dem weit verbreiteten Konzept der dreigeteilten Buße. Demnach bestand jede echte Buße aus drei aufeinanderfolgenden Schritten: Zuerst musste der Sünder echte Herzensreue angesichts seiner Sünde zeigen, wobei diese nach damaliger Vorstellung regelrecht „erzeugt“ werden musste, wozu eigens Beichthandbücher zur Verfügung gestellt wurden. Danach konnte im zweiten Schritt der Priester in der Beichte von der Sünde absolvieren, also die Vergebung Gottes zusprechen. Dessen ungeachtet musste im dritten Schritt eine Genugtuung, sozusagen als „Konsequenz“ der vergebenen Sünde geleistet werden; diese Bußleistungen konnten Wallfahrten oder eine Anzahl von Rosenkranzgebeten oder Ähnliches sein.

An dieser Stelle setzten die Ablässe ein. Mit ihnen konnte man die auferlegten Genugtuungsleistungen gegen Geld abgelten und sich somit Mühe sparen. Ablässe galten also nur für den dritten Schritt der Buße nach erfolgter Absolution. Der Skandal von 1517 bestand im Wesentlichen darin, dass Tetzel es offensichtlich maßlos überzog und den Ablass massiv ausweitete.

Luther war empört, als Glieder seiner Gemeinde die Absolution verlangten, ohne jegliche Reue zu zeigen. Sie hatten in benachbarten Städten, in denen Tetzel predigen durfte, die Ablässe erworben und sahen angesichts der finanziellen Aufwendungen keinerlei Grund, sich als zerknirschte Sünder zu betrachten. Dieser Missstand hatte schon manchen vor Luther empört, doch bei diesem traf er auf die gründlich erarbeitete Demutstheologie, die mit dieser Praxis theologisch unvereinbar war. Deswegen machte sich Luther im Sommer 1517 daran, das Thema gründlich zu untersuchen, ohne öffentlich viel darüber zu reden.

An die Öffentlichkeit ging dagegen sein Kollege Karlstadt. Am 26. April 1517 veröffentlichte er 151 Thesen an der Tür der Schlosskirche, die in gewisser Hinsicht weitaus „reformatorischer“ waren als die berühmten 95 Thesen ein halbes Jahr später. Karlstadt hatte von Augustinus gelernt, dass zuerst die Rechtfertigung durch den Glauben komme und dann das Halten des Gesetzes. Auch die Überlegenheit der Bibel über alle anderen Schriften wurde kühn herausgestellt. Luther ließ Anfang September über die scholastische Theologie disputieren und griff in seinen Thesen Aristoteles als Feind der wahren Theologie frontal an.

Ein Randthema wird zum Lauffeuer

Das waren die eigentlichen Themen, die in Wittenberg grassierten. Dennoch sollte eine in Luthers Augen viel unwichtigere Frage die Eruption bringen. Er hatte bereits ein Traktat über die Ablässe veröffentlicht, in dem er sie gerechtfertigt und lediglich die Übertreibungen als Geldmacherei verurteilt hatte. Vermutlich war sein Verständnis nicht wesentlich anders, als er am 31. Oktober die 95 Thesen in Wittenberg veröffentlichte, um wie üblich darüber zu disputieren. Er sandte sie auch an einige Bischöfe, unter anderem an Albrecht in Mainz. Doch neben der Verteidigung der klassischen Ablasspraxis und damit auch der Rechtfertigung des Papstes fanden sich in Luthers Thesen deutlichere Aussagen, die an dem System rüttelten. Seine Demutstheologie trat deutlich hervor, denn schon in der ersten These verkündete er, das ganze Leben solle Buße sein – nicht mehr ein künstliches, dreiteiliges Konstrukt, sondern eine Lebenseinstellung. So sah Luther den Umgang mit der Sünde.

Innerhalb weniger Monate lagen diese Thesen in England, in Paris, bei Erasmus von Rotterdam und in allen deutschen Landen vor und sorgten für eine mittelschwere Sensation. Die geplante Disputation kam nie zustande – es wurde stattdessen ein Jahrtausendereignis.

Im Januar 1518 gelangten die Thesen an Luthers Freund Johann Eck aus Ingolstadt. Der liebte das Disputieren und nahm sich vor, gegen Luther Stellung zu beziehen. Der zunächst private Schlagabtausch wurde öffentlich, die Freundschaft zwischen Luther und Eck zerbrach. Tetzel ließ derweil an der Universität von Frankfurt / Oder ebenfalls über Thesen disputieren, die die Ablässe rechtfertigten. Das Gerücht ging um, Luther handle im Auftrag der finanzpolitischen Interessen Kursachsens, und schon im Februar begann sich Papst Leo X. einzuschalten.

Schlüsselerlebnis im Turm

Die Schwere der Demutstheologie wich der frohen Zuversicht der Vergebungsgewissheit.

Vermutlich in jener Zeit passierte etwas im Denken von Martin Luther, das weit höher zu bewerten ist als der Thesenanschlag. Dieses Ereignis, das er auch als „Turmerlebnis“ beschrieb, lässt sich leider chronologisch nicht festlegen, und Biografen weichen z. T. um Jahre voneinander ab. Manches spricht dafür, dass diese revolutionäre Erkenntnis, die das Kernstück der Reformation bildete, erst nach dem Thesenanschlag anzusetzen ist. Etwa im Frühjahr 1518 änderte sich der Ton in den Veröffentlichungen Luthers. Die schwere Strenge der Demutstheologie wich der hellen, frohen Zuversicht der Vergebungsgewissheit. Gut möglich, dass hier ein jahrelang andauernder Prozess sein Ziel erreicht hatte.

Römer 1,16.17 war ihm ja schon in Rom bekannt gewesen, doch jetzt war die Wahrheit hindurchgedrungen, vom Kopf in das Herz gelangt. Luther hatte im Turm beim Nachdenken über diesen Schlüsselabschnitt des Römerbriefes endlich begriffen, wie er gerecht werden konnte. Was er vergeblich im Jurastudium, den Mönchsgelübden, den Messen, Gebeten, der Karriere, dem Beichten, Singen, Prozessieren etc. gesucht hatte, fand er – nein, er wurde gefunden! Gottes Wort sprach, und Luther glaubte. Der Glaube war es, denn der basierte nicht auf den eigenen, schwachen Bemühungen. Er gründete sich vielmehr auf die unveränderliche, schöpferische Kraft des Wortes Gottes. Hier war die Sicherheit, die Gewissheit, der Halt und die Freiheit. Hier war die Kraft des Evangeliums. Das Licht schien in der Finsternis. Der unsichere, ernsthaft suchende Mönch war ein freier Christ geworden.

Luthers Sermon von der doppelten Gerechtigkeit, gehalten am 28. März 1518, beinhaltete erstmals dieses so fundamentale reformatorische Verständnis. Dass der Ablass ihn nur am Rande interessierte, zeigte sich, als er im April 1518 in Heidelberg angesichts einer Zusammenkunft aller observanten Augustinerklöster über andere Themen disputieren ließ. Wieder ging es um Paulus und vor allem gegen Aristoteles. Die Heidelberger Theologen wussten nicht so recht, wie sie dieser neuartigen Theologie begegnen sollten, doch auf die jüngere Generation machte sie starken Eindruck.

Das Papsttum reagiert

Derweil wütete Tetzel gegen Luther. In einem Traktat zeigte er, wie klar die allgemein vorherrschende Scholastik die Ablässe bestätigte, denn nach scholastischer Auffassung war Eigenliebe besser als Nächstenliebe, und deswegen konnte niemand etwas sagen, wenn Menschen ihre Sünden mit Geld abgolten statt durch Akte der Nächstenliebe. Tetzel war es auch, der als einer der Ersten Luther in eine Reihe mit den Ketzern Wyclif und Hus stellte. Er formulierte auch eigene Thesen, in denen er den Papst als unfehlbar pries und Luther zum Papstgegner stilisierte.

Derweil hatte Karlstadt 380 (!) Thesen gegen Eck veröffentlicht; es ging vor allem um die Autorität der Bibel gegenüber anderen Schriften. Zurückgekehrt aus Heidelberg, begann Luther ab Mai 1518 eine enorme Tatkraft zu entfalten, die den Erfolg der Reformation begründete. Eine neue Predigt über den Bann und vor allem die „Resolutionen“ (Erklärungen) seiner 95 Thesen, die die Thematik weiterentwickelten, sorgten für neuen Ärger. Erstmals wurde angedeutet, dass Rom das endzeitliche Babel sei. Nichtsdestotrotz war Luther zu diesem Zeitpunkt ein entschiedener Anhänger des Papstes, der zwar die Verdorbenheit mancher Teile der Organisation anprangerte, nicht aber die Rechtmäßigkeit des Papsttums als solches infrage stellte.

Die Eröffnung eines Ketzerprozesses traf Luther völlig unvorbereitet.

Rom reagierte mit der Eröffnung eines Ketzerprozesses, was Luther völlig unvorbereitet traf und schockierte. Doch Leo X. hatte auch die politische Großwetterlage im Blick. Kaiser Maximilian wollte auf dem Augsburger Reichstag im Sommer 1518 seinen Enkel Karl zum Nachfolger machen. Der junge Habsburger hatte aber nicht nur Besitzungen in Spanien und Österreich, sondern auch in Süditalien und war damit eine potenzielle Gefahr für den Kirchenstaat. Um Karls Thronbesteigung zu verhindern, setzte Rom auf Friedrich den Weisen, was diesem Verhandlungsspielraum verschaffte. So war es ihm möglich, statt der Vorladung Luthers nach Rom ein Verhör auf deutschem Boden durchzusetzen.

Im Oktober kam es zum Treffen zwischen Luther und dem päpstlichen Legaten Cajetan, einem hochgebildeten Mann, wortkarg und aufbrausend, eitel und gerechtigkeitsliebend. Luther kam zum Disputieren, Cajetan, um einen Widerruf entgegenzunehmen. Das Gespräch musste scheitern. Die Sache sah nicht gut aus für Luther. Einige seiner Freunde, darunter Staupitz, verließen Augsburg fluchtartig. Sein ehemaliger Beichtvater hatte ihm viele kostbare Wahrheiten vermittelt, bewies aber in der Krise selbst kein festes Rückgrat. Luther hat später die zunehmende Distanz seines ehemaligen Mentors betrauert.

Ein neuer Freund

Aber Gott hatte bereits vorgesorgt. Im Sommer hatte die Universität Wittenberg einen neuen Griechisch-Professor berufen, der so jung und schmächtig war, dass nicht nur Luther sich öfter um seine Gesundheit sorgte. Sein Name war Philipp Schwarzerdt, doch sein Großonkel Reuchlin hatte ihn nach dem Griechischen „Melanchthon“ genannt, entsprechend der humanistischen Mode, die deutsche Namen für zu barbarisch hielt. Dieser Melanchthon kam zunächst als Humanist nach Wittenberg, wurde aber binnen eines Jahres von der Bibelauslegung und Predigt Luthers so fasziniert, dass er zu seinem wichtigsten Mitarbeiter wurde. Das hitzige Temperament des wortgewaltigen Luthers wurde durch das feinsinnige Gemüt des gründlichen Melanchthon ausbalanciert.

Überhaupt muss etwas zu Luthers Tonfall gesagt werden. Oft lobt man das kraftvolle „Lutherdeutsch“ und freut sich über markige Sprüche aus seinem Mund. Wer glaubt, dies sei einfach die Norm der Zeit gewesen, täuscht sich gewaltig. Selbst Freunde kritisierten Luthers oft schroffe Polemik, die kaum zwischen boshaften Feinden und skeptischen Zweiflern unterschied. Interessanterweise bemerkt Ellen White in diesem Zusammenhang, viele Menschen würden ihr eigenes aufbrausendes Temperament mit einem Hinweis auf die Reformatoren entschuldigen, doch hätten die Reformatoren weitaus mehr erreichen können, hätten sie sich im Umgangston mehr vom Beispiel Jesu leiten lassen. Luther selbst war sich seines hitzigen Gemütes durchaus bewusst und entschuldigte sich auch gelegentlich.

Doch noch eine andere Lektion gilt es zu lernen. Die manchmal harsche Vorgehensweise Luthers diente anderen als Entschuldigung, ihn nicht direkt unterstützen zu können. Erasmus von Rotterdam beispielsweise sah sehr wohl die berechtigten Anliegen Luthers und lobte auch etliches in seinen Schriften. Gleichzeitig hielt er öffentlich stets Abstand, um ja nicht mit dem polarisierenden Mönch aus Wittenberg zusammengebracht zu werden. Seine Fähigkeiten, seine hervorragenden Kontakte zu den obersten politischen Führern und auch sein ausgeglichenes Temperament hätten ihn zu einer Säule der Reformation werden lassen. Doch er spielte auf Zeit und vergab so die Gelegenheit, etwas ganz Großes für Gott zu tun. Wie oft ist dieser Fehler in der Geschichte der Kirche und auch unserer Gemeinde bis in die Gegenwart wiederholt worden!

Der Konflikt spitzt sich zu

Nach dem misslungenen Verhör vor Cajetan hatte Luther nicht mehr viele rechtliche Möglichkeiten, aber die wollte er zumindest ausschöpfen. Noch in Augsburg legte er eine formale Appellation ein (einen Einspruch, der auf Revision abzielte). Da Cajetan Legat des Papstes war, war die Frage, an wen man den Fall übertragen solle. Luther fand folgende interessante Formulierung: Er appellierte vom Kardinal und dem schlecht unterrichteten Papst an einen besser zu unterrichtenden Papst. Rechtlich war das möglich. Später hat Luther dann auch an ein allgemeines Konzil appelliert, was von den Gegnern des Konziliarismus nicht akzeptiert wurde, aber kurz zuvor auch von der Pariser Universität so gehandhabt worden war.

Derweil bereitete Rom den nächsten Schritt vor. Der politisch unbedeutende sächsische Kammerjunker Karl von Miltitz sollte in Kursachsen die Interessen Roms vertreten und eine Auslieferung Luthers erwirken. Der Lebemann, der wohl einen ausgesprochenen Sinn für Humor hatte, war mit dieser komplizierten politischen und theologischen Aufgabe aber weitestgehend überfordert und ließ sich relativ leicht in seiner Meinung beeinflussen.

Luther begann zu realisieren, dass es Rom auf eine Klärung überhaupt nicht ankam.

Für Luther wurde es im Spätherbst 1518 sehr eng. Die Ablasslehre, die er mittlerweile scharf attackiert hatte, wurde nun ohne weitere theologische Erörterung einfach dogmatisch als richtig definiert. Damit war kirchenrechtlich jede weitere Disputation ausgeschlossen. Luther begann erschreckt zu realisieren, dass es Rom auf eine Klärung überhaupt nicht ankam.

Luthers Größe zeigte sich in diesen Tagen in besonderer Weise. Er schrieb einen leidenschaftlichen Brief an den Kurfürsten und appellierte an dessen Glauben; gegen Dezember wusste Luther, der zwischenzeitlich ernsthaft einen Wegzug nach Frankreich in Erwägung gezogen hatte, dass er in Wittenberg sicher war. Nach außen hin gab sich Friedrich der Weise stets als unzuständig und neutral, doch muss ihn eine tiefe Wertschätzung für die Lehre Luthers bewogen haben, dieses durchaus riskante Spiel durchzuhalten.

Die Leipziger Disputation

Gegen Ende des Jahres war auch der Konflikt mit Eck eskaliert. Der befand sich formal mit Karlstadt im Streit und wollte mit diesem disputieren, bezog sich dann aber in seinen Thesen offensichtlich auf Luther. Die Disputation zwischen Karlstadt und Eck sollte in Leipzig stattfinden, das nicht zu Kursachsen, sondern zum Herzogtum Sachsen gehörte. Herzog Georg setzte gegen alle Bedenken der Universität und auch des zuständigen Bischofs die Durchführung dieser Disputation durch, die im Sommer 1519 stattfand. Luthers Teilnahme wurde erst wenige Tage vor Beginn erlaubt, obwohl er der eigentliche theologische Gegner Ecks war; die deutliche Kritik an Rom teilte Karlstadt nämlich keineswegs.

Während Karlstadt Mühe mit dem windigen und rhetorisch begabten Eck hatte, kam es zwischen Luther und Eck zu einem heftigen Schlagabtausch, der auch Luther ins Schwitzen brachte. Eck drängte ihm die Papstfrage auf und versuchte, ihn in die Nähe der verhassten Hussiten zu stellen, was Luther abstritt, wenngleich er zu einer differenzierten Betrachtung aufrief. Luther hat auch später immer wieder darauf hingewiesen, dass er sich erst durch diese Unterstellungen mit der entsprechenden Materie beschäftigt habe. In Leipzig präsentierte Luther zum ersten Mal öffentlich seine fortgeschrittene Sicht der Kirche. Das Papsttum sei eine rein menschliche Einrichtung und als solche zu respektieren; möglicherweise stelle es eine Strafe Gottes dar, der man sich zu beugen habe. Doch jeglicher göttliche Autoritätsanspruch wurde von Luther mit Auslegung der klassischen Stellen wie z. B. Matthäus 16 widerlegt. Der treue Sohn der Kirche hatte Distanz zu ihr gewonnen.

Tetzel konnte an dem Ereignis krankheitsbedingt nicht teilnehmen. Luther erfuhr erst kurz danach, dass Tetzel im Sterben lag, und schrieb ihm einen freundlichen Brief. Er versicherte ihm, dass er wisse, dass Tetzel nicht der Urheber der Ablasssache gewesen sei. Hier zeigte sich die weiche und mitfühlende Seite des Reformators.

Die Reaktionen auf die Leipziger Disputation waren geteilt. Beide Seiten versuchten in diversen Schriften, ihren Eindruck wiederzugeben. Melanchthon gab einen ausführlichen Bericht. Die Humanisten in der Gelehrtenwelt hielten überwiegend zu Luther. Die zu Schiedsrichtern angerufenen Universitäten von Erfurt und Paris gaben aus verschiedenen Gründen kein Urteil ab. Unterdessen waren einige Schriften Luthers bereits unabhängig davon durch die Universitäten in Köln und Löwen verdammt worden.

Mit der Druckerpresse gegen den Irrtum

Anfang Oktober erhielt Luther Briefe aus Böhmen. Viele hatten dort Luthers Auftreten mit Interesse verfolgt. Nun wurde ihm ein Exemplar des Hauptwerkes von Jan Hus Über die Kirche geschickt. Auch wenn er nicht mit allem einverstanden war, musste Luther schon bald eingestehen, dass Hus das wahre Evangelium gepredigt hatte. Staupitz, Augustinus, Paulus und er selbst, Luther, seien, ohne es zu wissen, alle Hussiten, ließ er Spalatin wissen.

Dies musste eine weitere Zuspitzung bedeuten, zumal Luther in seiner Abendmahlspredigt Ende 1519 sich sogar die Bemerkung erlaubte, dass man den Kelch den Laien nicht vorenthalten müsse. Roms abwartende Haltung gegenüber Luther war mittlerweile grundlos, denn im Sommer 1519 war trotz allen diplomatischen Bemühens Karl von Spanien zum römisch-deutschen König gewählt worden. Nun brauchte man Friedrich den Weisen nicht mehr, und entsprechend kam das sich hinschleppende Verfahren gegen Luther wieder in Gang. Eck war höchstpersönlich nach Rom gereist, um gegen den Reformator vorzugehen.

Luther hatte schon lange zuvor Spalatin ins Ohr geflüstert, er fürchte, der Papst sei der Antichrist.

Doch Luther hatte noch mehr Pfeile im Köcher. Ende 1519 leugnete er kurzerhand 4 der 7 Sakramente. Anfang 1520 erfuhr Luther durch Ulrich von Hutten (ein literarisch begabter, deutscher Ritter, der sich mit antirömischen Kampfschriften einen Namen machte), dass die berühmte „Konstantinische Schenkung“, ein Grundlagendokument des Kirchenrechts, eine Fälschung sei. Luther hatte sich bereits intensiv in Kirchenrecht und -geschichte eingearbeitet und schon lange zuvor Spalatin ins Ohr geflüstert, dass er fürchte, der Papst sei der Antichrist.

Gegen den schon damals erhobenen Vorwurf, Luther mache die Gnade billig, antwortete der Reformator im Mai mit dem gewichtigen Sermon von den guten Werken, in dem er das Verhältnis zwischen Glaube und Werken schilderte. Derweil arbeitete man in Rom an einer Bulle gegen Luther. Dort war man erst durch Eck darauf aufmerksam geworden, dass es in Deutschland schon längst nicht mehr allein um den Ablass ging, sondern weitaus fundamentalere Dinge infrage gestellt wurden. Die eilig zusammengestellten 41 verdammungswürdigen Sätze aus Luthers Feder, die der Ingolstädter dem Papst auf dessen Wildschweinjagdschloss referierte, waren nicht nur zum Teil aus dem Zusammenhang gerissen, sondern in einigen Fällen derart katholisch, dass Eck später selbst bedauernd äußerte, dass die besten Gelehrten nicht feststellen konnten, was an ihnen häretisch sein solle.

Am 23. Juni holte Luther zum nächsten Schlag aus. Nicht theologisch, sondern wirtschaftlich argumentierte er in seiner Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation, indem er Rom Geldgier und Ausbeutung vorwarf, was im Deutschland des frühen 16. Jahrhunderts genau den Nerv der Zeit traf. Die theologische Reformation traf nun auf ganz diesseitige, wirtschaftliche Belange der Nation, wie es schon anderthalb Jahrhunderte zuvor bei Wyclif der Fall gewesen war.

Diese Schrift war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Luther, der die Idee eines besonders geheiligten Klerus mittlerweile völlig verworfen hatte, stellte das Konzept des allgemeinen Priestertums vor. Der Papst wurde als Antichrist und „Allersündigster“ bezeichnet. Luther forderte eine Neubewertung der Hussitenfrage und die gänzliche Abschaffung des Kirchenrechts und des Aristoteles an den Universitäten.

Der Wahrheit treu

Luthers Bruch mit Rom war nun fast vollständig vollzogen. Immer wieder erreichten ihn Schriften, die ihn zur Umkehr riefen. Manche ignorierte er, auf andere ging er ein, wieder andere druckte er einfach neu und gab sie mit einem Vorwort versehen heraus. Die Menschen sollten selbst sehen, mit welch fragwürdigen Argumenten seine Gegner arbeiteten.

Luther glaubte manchmal, er sei nur Melanchthons Vorläufer.

Der Zuspitzung der Luthersache stand eine ungebrochene Aufbruchstimmung an der Wittenberger Universität entgegen. Studenten strömten in den kleinen Ort, bis der an die Grenze seiner Belastbarkeit geriet. Luther war beliebt, doch der Liebling aller war Melanchthon, dessen pädagogisches Genie die Massen fesselte. Luther selbst glaubte manchmal, er sei nur dessen Vorläufer. Melanchthons Römervorlesung hielt er für das Beste, was die Theologie zu bieten habe, und hoffte, sie würde im ganzen Christentum bekannt.

Luthers Wirken in Wittenberg blieb aber auch in dieser Zeit nicht ganz ungetrübt. Als Studenten sich gewaltsam erhoben, billigte er ihren Kurs nicht und manövrierte sich für kurze Zeit in eine Außenseiterrolle. Seine zweite Psalmenvorlesung brach er ab, weil er den Eindruck hatte, die Materie zu kompliziert und langsam erklärt zu haben.

Am 24. Juli 1520 erfolgte der Anschlag der päpstlichen Bannandrohungsbulle in Rom. Nur fünf Tage später erschien Luthers Sermon vom Neuen Testament, das ist von der heiligen Messe. Das Kernstück der katholischen Gottesdienstpraxis, die Eucharistie, wurde wieder auf ihr biblisches Urbild zurückgeführt. Dass Luther sich aber nicht von der realen Existenz Jesu in der Hostie trennen wollte (wenn er auch meinte, sie werde durch das Wort Gottes bewirkt, nicht durch das Wort des Priesters), führte später zum Bruch mit Zwingli, der den reinen Symbolcharakter viel deutlicher erkannte.

Doch Luther hatte noch etwas ganz anderes für die „Vipern“ parat. Am 6. Oktober veröffentlichte er das Vorspiel von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche. Wenn es bis dahin noch ein Band zwischen ihm und Rom gab – diese Schrift zerschnitt es für immer. Luther widerrief seine 95 Thesen als viel zu schwach. Luthers Beweisführung war interessanterweise nicht prophetisch; vielmehr wies er anhand der Sakramente nach, dass die römische Kirche Babylon sei. Die Vorenthaltung des Laienkelchs sei Häresie (womit er sich auf die Seite der Böhmen stellte). Die Transsubstantiationslehre wurde hinterfragt, nicht zuletzt, weil sie erst im Hochmittelalter unter dem Eindruck aristotelischer Philosophie entstanden war (darin näherte sich Luther Wyclif an). Am schärfsten verurteilte er den Opfergedanken und die Werksgerechtigkeit, die das Abendmahl „gefangen nehmen“.

Es war ein Frontalangriff auf die finanzielle Basis der Kirche.

Seine Thesen waren ein Frontalangriff auf die finanzielle Basis der Kirche, die an den vielen Messen gut verdiente. Luther wusste, dass er das fast unmögliche Unterfangen begonnen hatte, die gesamte geltende Wissenschaft umzuwerfen. Aber er ging voran. Die Linie der Unterscheidung war gezogen. Fortan stellte er seine Studenten vor die Entscheidung, entweder Christus oder dem Papst zu dienen. Luther hatte den Antichristen nicht aufgrund von Zahlen, Geschichtsfakten oder dubioser Zeichen identifiziert. Er hatte das Evangelium so gut kennengelernt, dass er aufgrund der falschen Erlösungslehre Roms zu keinem anderen Schluss kommen konnte. Vielleicht gibt es hier etwas für unsere Verkündigung der Dreifachen Engelsbotschaft, dem „ewigen Evangelium“, zu lernen …

Im November 1520 lag dann noch eine weitere Lutherschrift vor, die direkt an den Papst adressiert war und das reformatorische Programm vollendete: Von der Freiheit eines Christenmenschen.

1521 stand Luther vor dem Reichstag zu Worms. Vor Kaiser und Reich zeigte sich, dass dieser Mönch nicht einfach ein renitenter Querulant war. Sorgfältig und differenziert, bedacht und unerschütterlich stand er für die gefundene Wahrheit ein.

Der Größere hinter Luther

Doch hinter dem Theologen aus Kursachsen stand ein Größerer. Christus selbst führte Seine Gemeinde. Er war es, der den Herzog Georg, einen Feind Luthers, dazu inspirierte, gegen Roms Missbräuche vorzugehen, just als Aleander unter Zuhilfenahme aller Brillanz und Rhetorik Rom verteidigt hatte. Er war es, der Friedrich den Weisen benutzte, um Luther in dieser kritischen Stunde zu bewahren. Er war es, der das Herz des Kaisers für einen Moment weich machte, als der Kurfürst ihn allen Ernstes erfolgreich bat, das Wormser Edikt nicht nach Kursachsen zu senden, wodurch Friedrich jahrelang so tun konnte, als gäbe es das Edikt formal gar nicht. Christus war es, der die politischen Ereignisse so lenkte, dass der Kaiser sich 1521 den Türken zuwenden musste und keine Zeit hatte, Luther zu verfolgen. Er war es, der unabhängig von Luther im Kloster Einsiedeln den Leutpriester Zwingli erweckte hatte, um gegen den Ablass zu predigen, und ihn dann nach Zürich sandte, wo ab 1519 die Schweizer Reformation begann. Er war es, der Luther 1521 auf der Wartburg Weisheit für die Übersetzung des Neuen Testamentes gab.

Christus war es, der durch Luther die Reformation vor Extremen bewahrte, als Fanatiker den „Heiligen Geist“ über die Bibel stellen wollten. Er gab Zwingli den Mut, sich 1522 von Rom loszusagen. Er erweckte 1523 in Frankreich Louis de Berquin, Jacques Lefèvre d’Étaples und Guillaume Farel. Er sandte 1525 Johannes Tausen nach Dänemark, ließ William Tyndale 1525 die Bibel ins Englische übersetzen und brachte 1526 den Reichstag in Speyer zum vorübergehenden Zugeständnis religiöser Freiheit. Er gab Oekolampad 1527 Weisheit bei den Badener Disputationen. Er sandte im selben Jahr Olaus und Laurentius Petri nach Schweden.

Christus gab 1529 fünf deutschen Prinzen den Mut, die Aufhebung der vorübergehenden Religionsfreiheit nicht zu akzeptieren und auch gegen den Territorialkompromiss Protest einzulegen, weswegen Millionen Christen heute Protestanten heißen. Er war mit de Berquin, als jener 1529 auf dem Scheiterhaufen starb, weil der französische König nicht das Format des sächsischen Kurfürsten hatte. Er ließ 1530 in Augsburg die Protestanten ihren Glauben bekennen. Er erweckte 1531 Calvin und benutzte 1532 den unscheinbaren Antoine Froment, um Genf für das Evangelium zu erreichen. Christus hatte bereits ein Jahrtausend lang das Evangelium in den Bergtälern Piemonts bewahrt, als sich 1532 die Waldenser der Reformation anschlossen. Und als 1534 Luther die Übersetzung des Alten Testamentes abgeschlossen hatte, konnte jedes Kind Christus in der ganzen Bibel entdecken.

Und heute?

Innerhalb einer Generation hatte sich die Welt vollkommen verändert. Eine einzige Generation von gläubigen, zum Teil jungen Menschen hatte ein Fundament gelegt, auf dem Millionen für die nächsten Jahrhunderte stehen konnten. Kennst du dieses Fundament, lieber Leser? Es ist Christus, der Fels der Zeitalter. Dieses Fundament hatte die Zeitalter überdauert und wird bis zum Ende tragen.

Wir leben in spannenden Zeiten. Protestanten jubeln, wenn man ihnen predigt, dass der Protest vorbei sei. Lutheraner behaupten, dasselbe Rechtfertigungsverständnis wie Katholiken zu haben. Evangelikale bitten darum, solch eine Erklärung ebenfalls abgeben zu dürfen. Und im jesuitischen Magazin America konnte man am 28. Mai 2015 lesen, wie der Vatikan-Berater Jeffrey D. Sachs einen Plan offenlegte, um die Verfassung der USA, die die persönlichen Rechte schützt, zu verändern:

Die Seligpreisungen, von Papst Franziskus als Schlüssel zum Evangelium betrachtet, behandeln eigentlich gar nicht individuelle Rechte, sondern Tugenden … Es ist für uns nützlich, die Sichtweise von Aristoteles zu betrachten, denn durch den hl. Thomas von Aquin wurde Aristoteles’ Vision vom guten Leben mit den Lehren Jesu aus der Bergpredigt harmonisiert. Für Aristoteles ging es nicht um den Ausgleich zwischen individuellen Rechten und Verantwortungen … Wie seltsam ist für amerikanische Ohren und Augen die Erklärung des Aristoteles …: Der Staat hat von Natur aus klaren Vorrang vor der Familie und dem Individuum, denn das Ganze ist notwendigerweise wichtiger als der Teil.

Wenn die Reformation stirbt, steht Aristoteles wieder auf. Mitten in Amerika. Und die Welt wird finster wie zu Zeiten des Mittelalters.

Aber Gottes Wort wird auch in diesem finalen Kampf Menschen finden und zu Reformatoren machen. Die neuscholastische Finsternis einer menschengemachten Theologie wird durch das helle Licht des vierten Engels aus Offenbarung 18 erleuchtet werden. Und diese letzte Reformation wird das Werk beenden. Möchtest du, lieber Leser, ein Teil dieser Bewegung sein?

Geschichte
Reformation – auf einen Blick